Gesinnungsart - KdpV (alle)
Kritik der praktischen Vernunft - I. Kant - 1.B.3.H.
Jenes Gesetz aller Gesetze (*Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst) stellt also, wie alle moralische Vorschrift des Evangelii, die sittliche Gesinnung in ihrer ganzen Vollkommenheit dar, so wie sie als ein Ideal der Heiligkeit von keinem Geschöpfe erreichbar, dennoch das Urbild ist, welchem wir uns zu näheren, und in einem ununterbrochenen, aber unendlichen Progressus, gleich zu werden streben sollen. Könnte nämlich ein vernünftiges Geschöpf jemals dahin kommen, alle moralischen Gesetze völlig gerne zu tun, so würde das so viel bedeuten, als, es fände sich in ihm auch nicht einmal die Möglichkeit einer Begierde, die ihn zur Abweichung von ihnen reizte; denn die Überwindung einer solchen kostet dem Subjekt immer Aufopferung, bedarf also Selbstzwang, d.i. innere Nötigung zu dem was man nicht ganz gern tut. Zu dieser Stufe der moralischen Gesinnung aber kann es ein Geschöpf niemals bringen. Denn da es ein Geschöpf, mithin in Ansehung dessen, was er zur gänzlichen Zufriedenheit mit seinem Zustande fordert, immer abhängig ist, so kann es niemals von Begierden und Neigungen ganz frei sein, die, weil sie auf physischen Ursachen beruhen, mit dem moralischen Gesetze, das ganz andere Quellen hat, nicht von selbst stimmen, mithin es jederzeit notwendig machen, in Rücksicht auf dieselben, die Gesinnung seiner Maximen auf moralische Nötigung, nicht auf bereitwillige Ergebenheit, sondern auf Achtung, welche die Befolgung des Gesetzes, obgleich sie ungerne geschähe, fordert, nicht auf Liebe, die keine innere Weigerung des Willens gegen das Gesetz besorgt, zu gründen, gleichwohl aber diese letztere, nämlich die bloße Liebe zum Gesetze (da es alsdann aufhören würde Gebot zu sein, und Moralität, die nun subjektiv in Heiligkeit überginge, aufhören würde Tugend zu sein) sich zum beständigen, obgleich unerreichbaren Ziele seiner Bestrebung zu machen. Denn an dem, was wir hochschätzen, aber doch (wegen des Bewusstseins unserer Schwächen) scheuen, verwandelt sich, durch die mehrere Leichtigkeit ihm Genüge zu tun, die ehrfurchtsvolle Scheu in Zuneigung, und Achtung in Liebe, wenigstens würde es die Vollendung einer dem Gesetze gewidmeten Gesinnung sein, wenn es jemals einem Geschöpfe möglich wäre sie zu erreichen.
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Es ist ja doch etwas witzig, wenn nun jemand aus der Religion, vielleicht in führenden Rollen dort, dass von anderen einfordern wollte, was er selber gar nicht vollständig besorgen kann. Und man kann es deswegen allein a priori schon annehmen, weil es der Natur der Sache entspricht, dass es gar nicht stets gelingen wird.
Allerdings ist es in gewissen Kontexten, die es begünstigen und eine gewisse Gesinnung pflegen, auch leichter, gewisse Dinge einzuhalten. Dennoch ist das erreichen dieser gewissen Gebote tatsächlich derart, dass man in eine etwas andere Natur eingehen muss. Eben so wie es heißt, von der Persönlichkeit in die Seele eingehen.
Wobei es ja schon vieles bewirken kann, wenn etwas von der Seele stark durchdrungen ist und eben dieses zusammengesetzte Gefüge so auch gewisse Dinge in der Gesinnungsart begünstigt, weil es auch Teil eigner Natur geworden ist.
Daher wird es wohl auch immer in irgend einer Weise zu Einbrüchen und Rückfällen kommen, wenn, wie an einem Gummi der Zug stark genug wird in einer Richtung, ohne etwas bestimmtes am anderen Ende gänzlich gelöst zu haben. Letztlich bleibt es nur eine wahrzunehmende Gelegenheit und sollte nicht moralisch gleich überbewertet werden.
Denn wie man weiß, ist alles doch irgendwo auf seiner Ebene, daher ist es oft auch leichter damit umzugehen, ohne übermäßig andere Ebenen einzubeziehen. Lieber man verliert auch nur einen kleinen Anteil irgendwo, als eben was viel Umfassenderes dort gleich hinein einbezogen oder gebunden zu halten.
Es will alles doch zum guten gereichen, wenn man es schafft, eben diesen Teil darin zu aktivieren.
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