Angemessene Brötchen backen - KdpV (alle)

Devino M., Mittwoch, 18. Mai 2016, 01:26 (vor 3159 Tagen) @ Devino M.

Kritik der praktischen Vernunft - I. Kant - 2.B.2.H.II

... Denn einesteils fiel der tugendhafte Epikur, so wie noch jetzt viele moralisch wohlgesinnte, obgleich über ihre Prinzipien nicht tief genug nachdenkende Männer, in den Fehler, die tugendhafte Gesinnung in den Personen schon vorauszusetzen, für die er die Triebfeder zu Tugend zuerst angeben wollte (und in der Tat kann der Rechtschaffene sich nicht glücklich finden, wenn er sich nicht zuvor seiner Rechtschaffenheit bewusst ist; weil, bei jener Gesinnung, die Verweise, die er bei Übertretungen sich selbst zu machen durch seine eigene Denkungsart genötigt sein würde, und die moralische Selbstverdammung ihn alles Genusses der Annehmlichkeit, die sonst sein Zustand enthalten mag, berauben würden).

Allein die Frage ist: wodurch wird eine solche Gesinnung und Denkungsart, den Wert seines Daseins zu schätzen, zuerst möglich; da vor derselben noch gar kein Gefühl für einen moralischen Wert überhaupt im Subjekte angetroffen werden würde.

Der Mensch wird, wenn er tugendhaft ist, freilich, ohne sich in jeder Handlung seiner Rechtschaffenheit bewusst zu sein, seines Lebens nicht froh werden, so günstig ihm auch das Glück im physischen Zustande desselben sein mag; aber um ihn allererst tugendhaft zu machen, mithin eher er noch den moralischen Wert seiner Existenz zu hoch anschlägt, kann man ihm da wohl die Seelenruhe anpreisen, die aus dem Bewusstsein einer Rechtschaffenheit entspringen werde, für die er doch keinen Sinn hat?
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Wie die Geschichte aufzeigt, gab und gibt es wohl auch heute noch, viel vom fanatischen Idealismus. Sofern es nicht bis hin zum Tode für sich oder gar andere gereicht, dann geht es zumindest soweit, die Freiheit, welche oft dagegen besehen, ein höheres Gut ausmacht, durch zweifelhafte Ideale auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Dabei ist die wirkliche Tugend oder Moralität allem voran durch Eigenwillen und Freiwilligkeit gekennzeichnet. Und beginnt sicherlich damit, nicht zuerst zum eigenen Vorteil bloß eingestellt zu sein, was wiederum voraussetzte, zuerst oder gar ausschließlich, nicht nur an sich selber zu denken.

Dagegen ist es noch ein geringeres, ja gar ein Luxusproblem, die Tugendhaftigkeit so weit vorauszusetzen, dass ein Zugzwang daraus entstehen kann und die Erfüllung mehr dem Ausgleich einer Art von Kredit (des Vorausgesetzten) gleich zu kommen scheint, denn als da Freude, welche sonst als eine natürliche Folge der Sache beiläge, hervortritt.

Damit wären wir wieder bei dem, dass man eine Kirche im Dorf lassen sollte, und ein Gebäude als ein Gebäude behandelt z.B., eine Tat, als eine Tat und Moralität dann darüber hinaus beilegt, sobald alle anderen Grundbedingungen erfüllt sind.

Denn leicht ließe sich etwas Fordern, was man selbst nicht bereit ist zu erfüllen, oder etwas sprechen, aber was anderes oder gar das Gegenteil davon tuen. Natürlich muss man erst bei sich selber anfangen und Vorbild für das sein, was man da forderte, denn sonst wäre man eben ein solches Beispiel, wie man tut und nicht wie man spräche oder forderte...

Daher kann man auch erstmal mit kleineren Brötchen anfangen, eben solchen, die angemessen sind und die man zu Händeln vermag und dann fügt sich schon noch zu seiner Zeit das eine zum anderen. Man wird schon nicht umhin kommen, alles Essenzielle auch erfüllen zu dürfen, also kann man auch gleich zuerst damit anfangen.


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