Übereinkommen - MdS R§19 (alle)

Devino M., Freitag, 29. Januar 2016, 00:08 (vor 3282 Tagen) @ Devino M.

Die Metaphysik der Sitten - I. Kant - Rechtslehre §19

... Aber weder durch den besonderen Willen des Promitenten noch den des Promisars (als Akzeptanten) geht das Seine des ersteren zu dem letzteren über, sondern nur durch den vereinigten Willen beider, mithin sofern beider Wille zugleich deklariert wird.
Nun ist dies aber durch empirische Aktus der Deklaration, die einander notwendig in der Zeit folgen müssen und niemals zugleich sind, unmöglich. Denn wenn ich versprochen habe und der andere nun akzeptieren will, so kann ich während der Zwischenzeit (so kurz sie auch sein mag) es mich gereuen lassen, weil ich vor der Akzeptation noch frei bin; sowie andererseits der Akzeptant ebendarum an seine auf das Versprechen folgende Gegenerklärung auch sich nicht für gebunden halten darf. -
Die äußeren Förmlichkeiten (solemnia) bei Schließung des Vertrags (der Handschlag oder die Zerbrechung eines von beiden Personen angefaßten Strohhalms [stipula]) und alle hin und her geschehene Bestätigungen seiner vorherigen Erklärung beweisen vielmehr die Verlegenheit der Paziszenten, wie und auf welche Art sie die immer nur aufeinander folgenden Erklärungen als in einem Augenblicke zugleich existierend vorstellig machen wollen; was ihnen doch nicht gelingt, weil es immer nur in der Zeit einander folgende Aktus sind, wo, wenn der eine Akt ist, der andere entweder noch nicht oder nicht mehr ist. ...

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Sprechen und Zuhören gleichzeitig ist tatsächlich schwierig, aber doch und gerade deswegen beides zugleich elementar in einem Gespräch.

Ein gegenseitiger Willensbeschluss kann daher auch nicht von der Zeit abhängen, sondern davon, dass eine Übereinstimmung erreicht wird (wenn auch zu einer Zeit, aber doch nicht direkt in dieser, als mehr unabhängig dieser) und alle anderen Willensformulierungen die nicht überein gekommen sind, auch nicht gleich verbindlich sind, indem sie verpflichten, außer womöglich sich selbst gegenüber nur, aber auch dazu bedarf es einer solchen Übereinkunft mit sich.

Denn so ist es auch mit der Selbstverpflichtung oder sich selbst auferlegten Pflichten schlechthin. Wo man nicht bereit ist diese einzuhalten, besteht kein Vertrag sich selbst gegenüber und bestimmte Dinge sind dann nicht möglich, weil diese nicht gedeckt sind und daher nichts dahinter steht, oder nicht hinreichend, um darauf aufsetzen zu können.

Klar verpflichten die Sitten einen zuerst nur und geben einem nicht zugleich einen Vorzug an die Hand. Aber sie verbinden einen mit dem, was dieses einhält und schließen ein gewisses Maß an Selbstsucht aus, was zu eben jener Übereinstimmung erst führt.

Dadurch ist es fast so, wie man nicht zugleich gut reden und zuhören kann, und bis Einigkeit erreicht wurde, dient alles was nicht die Übereinkunft erreicht nur bestenfalls einer Annährung und der Erfahrung oder Erkenntnis, dass eine Übereinstimmung nicht erreicht wurde, was doch grundlegend sein mag.

Es ist wohl jedem frei gestellt, wie er lernen möchte. Einmal dadurch, wie es nicht geht und durch die Erfahrung dessen oder dadurch, wie es recht geht, indem man etwas dafür gibt oder einsetzt, um gleich das aufzuwiegen und darüber hinaus zu kommen, als das erst erfahren zu müssen, wie es nicht geht.

Dennoch ist beides auf seine Weise wertvoll. Nurmehr die Frage dessen, ob man bereit ist mehr einzusetzen, als zwingend erfordert wird, um in rechter Weise damit auszukommen, oder um damit bloß in irgend einer Art Berührung zu sein.


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