Über die ästhetische Erziehung des Menschen (alle)
Über die ästhetische Erziehung des Menschen - F. Schiller -
Brief 22:
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Was unsern Sinnen in der unmittelbaren Empfindung schmeichelt, das öffnet unser weiches und bewegliches Gemüt jedem Eindruck, aber macht uns auch in demselben Grad zur Anstrengung weniger tüchtig. Was unsre Denkkräfte anspannt und zu abgezogenen Begriffen einladet, das stärkt unsern Geist zu jeder Art des Widerstandes, aber verhärtet ihn auch in demselben Verhältnis und raubt uns ebenso viel an Empfänglichkeit, als es uns zu einer größeren Selbsttätigkeit verhilft.
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Nicht immer beweist es indessen eine Formlosigkeit in dem Werke, wenn es bloß durch seinen Inhalt Effekt macht; es kann ebenso oft von einem Mangel an Form in dem Beurteiler zeugen. Ist dieser entweder zu gespannt oder zu schlaff, ist er gewohnt, entweder bloß mit dem Verstand oder bloß mit den Sinnen aufzunehmen, so wird er sich auch bei dem glücklichsten Ganzen nur an die Teile und bei der schönsten Form nur an die Materie halten. Nur für das rohe Element empfänglich, muß er die ästhetische Organisation eines Werks erst zerstören, ehe er einen Genuß daran findet, und das Einzelne sorgfältig aufscharren, das der Meister mit unendlicher Kunst in der Harmonie des Ganzen verschwinden machte. Seine Interesse daran ist schlechterdings entweder moralisch oder physisch; nur gerade, was es sein soll, ästhetisch ist es nicht. Solche Leser genießen ein ernsthaftes und pathetisches Gedicht wie eine Predigt und ein naives oder scherzhaftes wie ein berauschendes Getränkt; und waren sie geschmacklos genug, von einer Tragödie und Epopöe, wenn es auch eine Messiade wäre, Erbauung zu verlangen, so werden sie an einem anakreontischen oder katullischen Liede unfehlbar Ärgernis nehmen.
Brief 23:
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Aber daß sie dieses überhaupt nur könne - daß es überhaupt nur eine reine Form für den sinnlichen Menschen gebe, dies, behaupte ich, muß durch die ästhetische Stimmung des Gemüts erst möglich gemacht werden. Die Wahrheit ist nichts, was so wie die Wirklichkeit oder das sinnliche Dasein der Dinge von außen empfangen werden kann; sie ist etwas, das die Denkkraft selbsttätig und in ihrer Freiheit hervorbringt, und diese Selbsttätigkeit, diese Freiheit ist es ja eben, was wir bei dem sinnlichen Menschen vermissen. Der sinnliche Mensch ist schon (physisch) bestimmt und hat folglich keine freie Bestimmbarkeit mehr: diese verlorne Bestimmbarkeit muß er notwendig erst zurückerhalten, eh´ er die leidende Bestimmung mit einer tätigen vertauschen kann. Er kann sie aber nicht anders zurückerhalten, als entweder indem er die passive Bestimmung verliert, die er hatte, oder indem er die aktive schon in sich enthält, zu welcher er übergehen soll. Verlöre er bloß die passive Bestimmung, so würde er zugleich mit derselben auch die Möglichkeit einer aktiven verlieren, weil der Gedanke einen Körper braucht und die Form nur an einem Stoffe realisiert werden kann. Er wird also die letztere schon in sich enthalten, er wird zugleich leidend und tätig bestimmt sein, das heißt, er wird ästhetisch werden müssen.
Durch die ästhetische Gemütsstimmung wird also die Selbsttätigkeit der Vernunft schon auf dem Felde der Sinnlichkeit eröffnet, die Macht der Empfindung schon innerhalb ihrer eigenen Grenzen gebrochen und der physische Mensch so weit veredelt, daß nunmehr der geistige sich nach Gesetzen der Freiheit aus demselben bloß zu entwickeln braucht. Der Schritt von dem ästhetischen Zustand zu dem logischen und moralischen (von der Schönheit zur Wahrheit und zur Pflicht) ist daher unendlich leichter, als der Schritt von dem physischen Zustande zu dem ästhetischen (von dem bloßen blinden Leben zur Form) war. Jenen Schritt kann der Mensch durch seine bloße Freiheit vollbringen, da er sich bloß zu nehmen, und nicht zu geben, bloß seine Natur zu vereinzeln, nicht zu erweitern braucht; der ästhetisch gestimmte Mensch wird allgemein gültig urteilen und allgemein gültig handeln, sobald er es wollen wird. Den Schritt von der rohen Materie zur Schönheit, wo eine ganz neue Tätigkeit in ihm eröffnet werden soll, muß die Natur ihm erleichtern, und sein Wille kann über eine Stimmung nichts gebieten, die ja dem Willen selbst erst das Dasein gibt. Um den ästhetischen Menschen zu Einsicht und großen Gesinnung zu führen, darf man ihm weiter nichts als wichtige Anlässe geben; um von dem sinnlichen Menschen eben das zu erhalten, muß man erst seine Natur verändern. Bei jenem braucht es oft nichts als die Aufforderung einer erhabenen Situation (die am unmittelbarsten auf das Willensvermögen wirkt), um ihn zum Held und zum Weisen zu machen; diesen muß man erst unter einen andern Himmel versetzen.
Es gehört also zu den wichtigsten Aufgaben der Kultur, den Menschen auch schon in seinem bloß physischen Leben der Form zu unterwerfen und ihn, so weit das Reich der Schönheit nur immer reichen kann, ästhetisch zu machen, weil nur aus dem ästhetischen, nicht aber aus dem physischen Zustand der moralische sich entwickeln kann. Soll der Mensch in jedem einzelnen Fall das Vermögen besitzen, sein Urteil und seinen Willen zum Urteil der Gattung zu machen, soll er aus jedem beschränkten Dasein den Durchgang zu einem unendlichen finden, aus jedem abhängigen Zustand zur Selbstständigkeit und Freiheit den Aufschwung nehmen können, so muß dafür gesorgt werden, daß er in keinem Momente bloß Individuum sei und bloß dem Naturgesetz diene. Soll er fähig und fertig sein, aus dem engen Kreis der Naturzwecke sich zu Vernunftzwecken zu erheben, so muß er sich schon innerhalb der erstern für die letztern geübt und schon seine physische Bestimmung mit einer gewissen Freiheit der Geister, d.i. nach Gesetzen der Schönheit, ausgeführt haben.
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Die Mittel die von der Natur zur Verfügung stehen nur genießen oder diese nutzen um daraus den Aufstieg in die ästhetische Einstellung und Empfindung hin zu bekommen? Das Herz ist mehr als die Sinne, das eine erschließt die Welt der Sinne und die Außenwelt, das andere erschließt das tatsächliche Leben und die Innenwelt.
Ebenso kann der Mensch passiv den Verstand nutzen und sich im Solarplexus und der Astralen Polarisation zu bewegen oder eben mit der höheren Vernunft tatsächlich sich im Kopf und den höheren Bereichen bewegen.
Es liegt an einem selbst sich mit der passiven Arbeit der Natur abzufinden oder sich zur aktiven geistigen Arbeit aufzumachen. Die Dinge als Gegeben hinnehmen, oder aktiv daran zu wirken, jeden Zustand, indem man sich vorfindet, und seis nur durch kleine Schritte zu verbessern und zu veredeln. Denn das erstere ist im Gegensatz zum zweiteren keine eigene Leistung und geht wohl weniger aufs eigene Konto.
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