Über die Ästhetische Erziehung des Menschen - Achter Brief (alle)

Devino M., Sonntag, 08. Dezember 2013, 12:26 (vor 4048 Tagen)

Über die Ästhetische Erziehung des Menschen - Achter Brief - Friedrich Schiller
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Die Vernunft hat geleistet, was sie leisten kann, wenn sie das Gesetz findet und aufstellt; vollstrecken muss es der mutige Wille und das lebendige Gefühl. Wenn die Wahrheit im Streit mit Kräften den Sieg erhalten soll, so muss sie selbst erst zur Kraft werden und zu ihrem Sachführer im Reich der Erscheinungen einen Trieb aufstellen; denn Triebe sind die einzigen bewegenden Kräfte in der empfindenden Welt. Hat sie bis jetzt ihre siegende Kraft noch so wenig bewiesen, so liegt dies nicht an dem Verstande, der sie nicht zu entschleiern wusste, sondern an dem Herzen, das sich ihr verschloss, und an dem Triebe, der nicht für sie handelte.

Denn woher diese noch so allgemeine Herrschaft der Vorurteile und diese Verfinsterung der Köpfe bei allem Licht, das Philosophie und Erfahrung aufsteckten? Das Zeitalter ist aufgeklärt, das heißt, die Kenntnisse sind gefunden und öffentlich preisgegeben, welche hinreichen würden, wenigstens unsere praktischen Grundsätze zu berichtigen; der Geist der freien Untersuchung hat die Wahnbegriffe zerstreut, welche lange Zeit den Zugang zu der Wahrheit verwehrten, und den Grund unterwühlt, auf welchem Fanatismus und Betrug ihren Thron erbauten; die Vernunft hat sich von den Täuschungen der Sinne und von einer betrüglichen Sophistik gereinigt, und die Philosophie selbst, welche uns zuerst von ihr abtrünnig machte, ruft uns laut und dringend in den Schoß der Natur zurück - woran liegt es, dass wir noch immer Barbaren sind?

Es muss also, weil es nicht in den Dingen liegt, in den Gemütern der Menschen etwas vorhanden sein, was der Aufnahme der Wahrheit, auch wenn sie noch so hell leuchtete, und der Annahme derselben, auch wenn sie noch so lebendig überzeugte, im Wege steht. Ein alter Weiser hat es empfunden, und es liegt in dem vielbedeutenden Ausdrucke versteckt: apere aude.

Erkühne dich, weise zu sein. Energie des Muts gehört dazu, die Hindernisse zu bekämpfen, welche sowohl die Trägheit der Natur als die Feigheit des Herzens der Belehrung entgegensetzen. Nicht ohne Bedeutung lässt der alte Mythus die Göttin der Weisheit in voller Rüstung aus Jupiters Haupte steigen; denn schon ihre erste Verrichtung ist kriegerisch. Schon in der Geburt hat sie einen harten Kampf mit den Sinnen zu bestehen, die aus ihrer süßen Ruhe nicht gerissen sein wollen. Der zahlreichere Teil der Menschen wird durch den Kampf mit der Not viel zu sehr ermüdet und abgespannt, als dass er sich zu einem neuen und härteren Kampf mit dem Irrtum aufraffen sollte. Zufrieden, wenn er selbst der sauren Mühe des Denkens entgeht, lässt er andere gern über seine Begriffe die Vormundschaft führen, und geschieht es, dass sich höhere Bedürfnisse in ihm regen, so ergreift er mit durstigem Glauben die Formeln, welche der Staat und das Priestertum für diesen Fall in Bereitschaft halten. Wenn diese unglücklichen Menschen unser Mitleiden verdienen, so trifft unsere gerechte Verachtung die anderen, die ein besseres Los von dem Joch der Bedürfnisse frei macht, aber eigene Wahl darunter beugt. Diese ziehen den Dämmerschein dunkler Begriffe, wo man lebhafter fühlt und die Phantasie sich nach eigenem Belieben bequeme Gestalten bildet, den Strahlen der Wahrheit vor, die das angenehme Blendwerk ihrer Träume verjagen. Auf eben diese Täuschungen, die das feindselige Licht der Erkenntnis zerstreuen soll, haben sie den ganzen Bau ihres Glücks gegründet, und sie sollten eine Wahrheit so teuer kaufen, die damit anfängt, ihnen alles zu nehmen, was Wert für sie besitzt? Sie müssten schon weise sein, um die Weisheit zu lieben: Eine Wahrheit, die derjenige schon fühlte, der der Philosophie ihren Namen gab.

Nicht genug also, dass alle Aufklärung des Verstandes nur insofern Achtung verdient, als sie auf den Charakter zurückfließt; sie geht auch gewissermaßen von dem Charakter aus, weil der Weg zu dem Kopf durch das Herz muss geöffnet werden. Ausbildung des Empfindungsvermögens ist also das dringendere Bedürfnis der Zeit, nicht bloß weil sie ein Mittel wird, die verbesserte Einsicht für das Leben wirksam zu machen, sondern selbst darum, weil sie zu Verbesserung der Einsicht erweckt.
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Es heißt die Wahrheit macht frei.
Sind nun alle frei, die diversen Lehren folgen?
Wenngleich diese auch immer einen Kern der Wahrheit enthalten, denn sonst hätten sie nicht die Kraft, eine gewisse Anzahl derer zu finden, die diesen Lehren Aufmerksamkeit zollen aber doch sind sie idR nicht frei dadurch.

Denn wenn es nicht die niedere Natur ist, dann ists ja doch der enthaltene Geist, dem Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird. Also kann man sagen, die Wahrheit mag frei machen, ein Wissen an sich aber nicht, vielmehr ists ein Unvermögen über gewisses Wissen hinaus zu gehen, denn sonst wäre das Wissen zur Tat oder Weisheit veredelt und hätte dann den Weg, sagen wir vom Solarplexus, tatsächlich zum Kopf gefunden und wäre dann übers Herz (sagen wir einsichtsvolles Handeln) gegangen.

D.h. also Wissen macht nicht frei und je mehr man ansammelt (vor allem Belangloses) um so mehr hängt man an Diesem, aber ohne, dass es verarbeitet wird und in die Tat umgesetzt wird, hat es keinen großen Nutzen. Meist ist der Nutzen mit der Allgemeinheit verbunden, wenn man also seine Notwendigkeiten erledigt hat und dann genug Mut findet, sich aufzuraffen und das, was man weiß, zu nutzen um anderen zu dienen, dann wird mehr aus dem bloßem Wissen.


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