Der Forscher und die Wissenschaft - LU (alle)

Devino M., Samstag, 22. Juli 2017, 03:04 (vor 2491 Tagen) @ Devino M.

Logische Untersuchungen - Edmund Husserl - 2.B.I.3.K.
§29. Die reine Logik und die idealen Bedeutungen

Der Forscher stellt dann Sätze auf. Natürlich behauptet, urteilt er hierbei. Aber er will nicht von seinen oder irgendjemandes Urteilen sprechen, sondern von den bezüglichen Sachverhalten, und wenn er sich in kritischer Erwägung auf die Sätze bezieht, so meint er ideale Aussagebedeutungen. Nicht die Urteile, sondern die Sätze nennt er wahr und falsch; Sätze sind ihm Prämissen, und Sätze sind ihm Folgen. Sätze bauen sich nicht auf aus psychischen Akten, aus Akten des Vorstellens oder Führwahrnehmens, sondern wenn nicht wieder aus Sätzen, so letztlich aus Begriffen.

Sätze selbst sind Bausteine von Schlüssen. Auch hier besteht wieder der Unterschied zwischen den Akten des Schließens und ihren einheitlichen Inhalten, denn Schlüssen, d.i. identischen Bedeutungen gewisser komplexer Aussagen. Das Verhältnis der notwendigen Folge, welches die Form des Schlusses ausmacht, ist nicht ein empirisch-psychologischer Zusammenhang von Urteilserlebnissen, sondern ein ideales Verhältnis von möglichen Aussagebedeutungen, von Sätzen. Es "existiert", oder "besteht", das heißt: es gilt, und Geltung ist etwas, das zum empirischen Urteilenden ohne alle wesentliche Beziehung ist. Wenn der Naturforscher aus den Hebelgesetzen, dem Gesetz der Schwere u.dgl. die Wirkungsweise einer Maschine ableitet, so erlebt er in sich freilich allerlei subjektive Akte. Das, was er aber einheitlich denkt und verknüpft, das sind Begriffe und Sätze mit ihren gegenständlichen Beziehungen. Den subjektiven Gedankenverknüpfungen entspricht dabei eine objektive (d.h. sich der in der Evidenz "gegebenen" Objektivität adäquat anmessende) Bedeutungseinheit, die ist, was sie ist, ob sie jemand im Denken aktualisieren mag oder nicht.
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Alle Wissenschaft ist ihrem objektiven Gehalt nach, ist als Theorie aus diesem einen homogenen Stoff konstituiert, sie ist eine ideale Komplexion von Bedeutungen. Ja, wir können sogar noch mehr sagen: Dieses ganze noch so mannigfaltige Gewebe von Bedeutungen, theoretische Einheit der Wissenschaft genannt, gehört selbst wieder unter die alle seine Bestandstücke umspannende Kategorie, es konstituiert selbst eine Einheit der Bedeutung.

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Ist ein Wissenschaftler weniger Mensch, als jeder andere Mensch? Wohl eher nicht! So wendet er, wie Komplex eine Wissenschaft auch sein mag, immer noch die selben Grundsätze des Denkens und Sätzebildens an, um seine Erkenntnis (und sei es nur vor sich selbst) hinsichtlich seines Fachgebietes zu formulieren.

Mehr also macht ihn die Summe der Kontakte als objektivierender Bezug zu den Gegenständen der jeweiligen Wissenschaft und der dazu vorhandene begriffsbildende Inhalt zum Fachgebiet, zum Wissenschaftler seiner Zunft.

Denn die Begriffsbedeutung einer Wissenschaft kann und hat oft Termini, die dem allgemeinen entliehen sind und eine gesonderte Bedeutung im jeweiligen Fachgebiet erhalten und einnehmen. Meist sind diese nur für den Wissenschaftler einleuchtend und sind wie eine Art Schlüssel im Gebrauch.

So kann wohl in Sachen Raum und körperlicher Konstitution gesagt werden, dass der Wissenschaftler die Gegenstände seiner Wissenschaft nicht leibhaftig in sich aufnimmt. Daher mag zwar ein psychologisches Akterlebnis gegeben sein, doch wesentlicher ist eine Existenz der Dinge an sich selbst auf der einen Seite, und die dazugehörige Begriffsbedeutung auf der anderen Seite (auf Seiten des Wissenschaftlers).

Ob dieses nun auch lediglich in einem Spektrum eines Frequenzbereiches sich alles abspielt und vollzieht, ist für den psychologischen Aktus unerheblich. Und also auch für dieses, das ein Wissenschaftler vom menschlichen Stand der Dinge her, sich von anderen Menschen konstitutionell wohl nicht wesentlich unterscheidet.

Oder anders gesagt, den Wissenschaftler macht psychologisch gesehen soviel in etwa aus, dass er hinsichtlich der richtigen und zutrefflichen Inhalte zusammenfassend und einbeziehend urteilt und das ausschließend, was nicht zum Fachgebiet gehört oder zur jeweiligen Wissenschaft gehörigem Fachkreis sich verhält; und hierzu in der Lage ist begriffsbildende Inhalte mit objektivierendem Bezug zu bilden.


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