Verhältnis von Masse und Selbst - Le Bon (alle)

Devino M., Samstag, 23. Februar 2019, 12:37 (vor 1860 Tagen) @ Devino M.

Psychologie der Massen - Gustave Le Bon
1.B.2.K.III. Überschwang und Einseitigkeit der Massengefühle

Alle Gefühle, gute und schlechte, die eine Masse äußert, haben zwei Eigentümlichkeiten; sie sind sehr einfach und sehr überschwänglich. Wie in so vielen andern, nähert sich auch in dieser Beziehung der einzelne, der einer Masse angehört, den primitiven Wesen. Gefühlsabstufungen nicht zugänglich, sieht er die Dinge grob und kennt keine Übergänge. Der Überschwang der Gefühle in der Masse wird noch dadurch verstärkt, dass er sich durch Suggestion und Übertragung sehr rasch ausbreitet und dass Anerkennung, die er erfährt, seinen Spannungsgrad erheblich steigert.

Die Einseitigkeit und Überschwänglichkeit der Gefühle der Massen bewahrt sie vor Zweifel und Ungewissheit. Den Frauen gleich gehen sie sofort bis zum Äußersten. Ein ausgesprochener Verdacht wird sogleich zu unumstößlicher Gewissheit. Ein Keim von Abneigung und Missbilligung, den der einzelne kaum beachten würde, wächst beim Einzelwesen der Masse sofort zu wildem Hass.
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Fast jeder kennt es wohl, sobald man sich vor eine gewisse Masse stellt (nehmen wir ein Rednerpult), dann ist der Schwall an Projektionen die auf einen gerichtet werden erst einmal zu überwinden. Deswegen wird empfohlen, die ersten einleitenden Sätze auswendig zu lernen, damit man nicht bloß fassungslos dasteht (vor allem wenn man es nicht bereits in irgend einer Weise mehr gewohnt ist). Zwar mag es auch von der Empfänglichkeit/Empfindlichkeit und vielen anderen Dingen abhängen. Doch ist es ja so, dass sich dann Redner und Publikum zunächst verbinden. Und diese innere Verbindung mitsamt der äußeren Projektionen will zunächst verarbeitet oder irgendwie ein wenig bei einem geordnet sein. Der Vorteil ist zunächst, dass man ohnehin nicht mehr fassen kann, als man fassen kann. Also kann man in irgendeiner Weise damit umgehen, sonst kämme es bei einem gar nicht erst an. Oder man kollabiert und etwas anderes übernimmt die Führung in einem (und sei es nunmal die Ohnmacht).

Allerdings genau hieran kann man auch erkennen, dass das, was man im außen sieht, man selbst ist [die eigene Projektion], und das was im inneren erfahren wird (und bei einem ankommt), die anderen sind. Erst wenn man sich mehr als Selbst erkennt, dann erkennt man sich durch das was bei einem eingeht mitsamt der anderen mit (als Teil all dessen was einen mit ihnen verbindet und was man darin ist). Ansonsten sieht man für gewöhnlich nicht was von einem ausgeht (und was man daher selber ist), sondern nur was zu einem eingeht (was meist andere - auch als Masse begriffen - sind).

Doch so einfach ist das alles nicht, um es für jedermann in eine Regel fassen zu können. Denn hinzukommt auch durchaus der Umgang mit den Spiegelgesetzten, ebenso auch die eigene Willensausrichtung (worauf diese ausgeht). Und schließlich ist es ja so, dass sobald man sich im persönlichen Sinne überwunden hat, und beim Selbst ist, und durch das Selbst was einem als sich selber zeigt und wie von außen mit durch andere kommend offenbart [sich und die anderen in einer Summe umfassend], kommt dann das Selbst anderer zusätzlich hinzu. Denn wenn man im Göttlichen erwacht ist, sieht man Götter um sich, wenn man als Persönlichkeit oder Individualität unterwegs ist, sieht man ihresgleichen um sich und wird sich an ebenjenes in ihnen jeweils wenden. So auch wenn man als Selbst unterwegs ist, sieht man andere Selbste oder bestimmte Massen [das sogenannte Nicht-Selbst, wo kein individuelles Selbst zugegen ist].

Das geht dann mit der (teilweisen Umkehrung) noch eine Spirale weiter, wenn man das Selbst anderer wirklich erkennen wollte. Das eigene Selbst kommt von außen durch die beinhaltete Masse und sich selber darin im Kleinen (individuellen) begriffen in einen ein; doch das Selbst anderer, beinhaltet ebenfalls beide Richtungen. Und nur vermittelst der beiden Richtungen, kann man es in seinem Umfang erkennen. D.h. man geht schnell dazu über, das was bei einem ein- und ausgeht mit dem in irgend einer Richtung zu vertauschen, was bei einem anderen Selbst ein- oder ausgeht. Dann spielt auch mit eine Rolle, was bei welchem Selbst gepflegt wird/ist und was nicht. Auch da richtet sich das Augenmerk zunächst immer auf das, wo man selbst dran ist und mehr oder weniger es einpflegt.

Von einem Einzelnen kann man gar nicht erwarten, dass er die Verantwortung für sein ganzes Selbst übernimmt. Allerdings da wo er es nicht übernimmt, und wenn es nicht sonst woher gepflegt wird, zählt er sodann durch die jeweilige Unbewusstheit zur Masse und die Masse wird dann zu einem gewissen Grad sein selbst sein. Ansonsten ist eine der technischen Funktionen des Selbst, dafür zu sorgen, dass das was zu einem gehört und von einem ausgeht, zu einem wieder zurückkehrt, statt wie im unbewussten Falle, in der Masse zu verbleiben.


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