Gefällt dir das Leben? - Seneca (alle)

Devino M., Mittwoch, 01. Mai 2019, 17:40 (vor 1812 Tagen)

Seneca: Briefe an Lucius [Epistulae ad Lucilium] 70

Das Leben darf, wie du weißt, nicht immer festgehalten werden. Denn zu leben ist noch kein Gut, sondern erst: gut zu leben.

Doch wirst du sogar Lehrer der Philosophen finden, die bestreiten, dass man seinem Leben Gewalt antun dürfte, und die es für einen Frevel halten, sich eigenhändig zu töten: Man habe auf das Ende zu warten, das die Natur einem bestimmt hat. Wer so redet, sieht nicht, dass er sich den Weg in die Freiheit versperrt: Nichts hat das ewige Gesetz so gut eingerichtet wie die Tatsache, dass es allen zwar nur eine einzige Möglichkeit, ins Leben einzutreten, gegeben hat, aber viele Möglichkeiten, es zu verlassen. Soll ich die Grausamkeit einer Krankheit oder eines Menschen abwarten, obwohl ich einen Ausweg mitten durch die Folterungen habe und alles Unglück abschütteln kann? Aus einem einzigen Grund können wir uns über das Leben nicht beklagen: Es hält niemanden fest. Um die menschlichen Angelegenheiten ist es gut bestellt, weil jeder nur aus eigener Schuld unglücklich ist. Gefällt dir das Leben? Dann lebe! Gefällt es dir nicht? Du darfst dahin zurückkehren, von wo du gekommen bist.
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Fast immer weiß man viele Dinge erst wirklich zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hat. Manches von kann natürlich darin liegen, dass man überflutet wird von allerlei Kräften, bis zur leichten Verblendung hin, so dass man gar nicht erst wirklich in dem Moment alles registriert, in welchem sich etwas vollzieht.

Man sollte lernen zu empfangen, statt nur neben den Dingen her zu leben. Nur so erkennt man die Fülle, wie sie vor sich geht, so lange man noch einen aktiven Teil daran hat.

Die Toten unterscheiden sich darin von den Lebenden, dass sie keinen aktiven Anteil mehr haben. Sie können vielleicht noch besser in alles Einsicht nehmen, doch kaum etwas davon können sie beeinflussen. Denn sie hatten ihre gegebene Lebenszeit dazu gehabt. Und es war alles nur eine Frage dessen, wie sie diese zu nutzen wussten.

Weiß man das Leben zu schätzen? - Seneca

Devino M., Sonntag, 05. Mai 2019, 16:15 (vor 1808 Tagen) @ Devino M.

Seneca: Briefe an Lucius [Epistulae ad Lucilium] 42

Schau dich nur um und betrachte die Dinge, die uns in den Wahnsinn treiben und deren Verlust wir tränenreich beweinen. Du wirst dir bewusst werden, dass nicht der Schaden schlimm ist, sondern bloß die Vorstellung vom Schaden. Niemand merkt wirklich etwas vom Verlust dieser Dinge, aber er bildet ihn sich ein. Wer sich hat, hat nichts verloren. Doch wie wenigen gelingt es, sich selbst zu besitzen?
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Zum wertvollsten gehört wohl die Lebenszeit. Möchte man etwa hinterher bedauern, wie wenig man sein Leben für das Lebenswerte genutzt hat? Und wie wenig man wirklich gelebt hat?

Dabei bildet die lebenswerten Dinge nicht ein wilder Aktionismus, sondern wie weit man sich bewusst die Zeit für alles genommen hat. Um wirklich mit Leib uns Seele dabei zu sein. Zunächst völlig unabhängig dessen, wer sich in welchen Lebensumständen befindet.

Man kann nicht wirklich etwas kaufen, was einen Wert hat. Den Wert zu allem bildet man in sich selbst aus. Also kann man nur dies kaufen, was einem mehr oder weniger entspricht. Weiß man die Dinge nicht zu würden, dann hat man damit nur seine eigene Billigkeit gekauft, egal wie teuer etwas war. Es hat also nicht notwendig den Wert des Geldes, sondern den Wert des Besitzers zunächst angenommen. Wenn man sich Neureiche anschaut, die plötzlich zu Vermögen kamen und sich mit den teuersten Gütern auf die schnelle umgeben haben, dann verlieren diese Güter an Wert. Sie nehmen die Ausstrahlung der Besitzer an, doch verblassen sodann. Es fehlt die Ausstrahlung und Würde darin.

Im Zweifelsfalle zählt das Leben selbst immer mehr. Und weiß man es wirklich zu schätzen? Oder ist es wie mit vielen Dingen, dass man erst etwas zu schätzen weiß, nachdem es nicht mehr selbstverständlich da ist? Doch liegt womöglich alles nur an der Selbstverständlichkeit, die einem den bewussten Umgang damit beeinträchtigt?

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