Bedingungsloses Grundeinkommen - Spiegel (alle)
Grundeinkommen in der Schweiz und Finnland: Gleiches Geld für alle
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Spinnerei von Sozialromantikern - oder Schlüssel zu einer gerechten Gesellschaft? Am bedingungslosen Grundeinkommen scheiden sich die Geister. 2016 könnten die Schweiz und Finnland die Weichen dafür stellen.
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Welche Wirkung ein Grundeinkommen entfalten würde, ist je nach Ausgestaltung stark unterschiedlich. Das verdeutlichen die beiden Modelle, die im kommenden Jahr in der Schweiz und in Finnland diskutiert werden - und 2016 zum Jahr des Grundeinkommens machen könnten.
◾Zwar werden die Schweizer 2016 ausdrücklich nicht über die Höhe abstimmen - das soll erst später entschieden werden. Geht es aber nach den Initiatoren, soll ein Grundeinkommen vom Zwang befreien, für Geld arbeiten zu müssen. Dafür bräuchten Erwachsene 2500 Franken im Monat, Kinder und Rentner weniger. Die Initiatoren sind davon überzeugt, dass die allermeisten dennoch weiter arbeiten würden - und zwar unbeschwerter und damit produktiver als zuvor, da sie nicht mehr fürchten müssen, mit dem Job ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Es ist ein humanistisches Modell des Grundeinkommens.
◾In Finnland hingegen wird die Summe von 800 Euro diskutiert - in Deutschland entspricht das einer Kaufkraft von 664 Euro. Im Gegenzug könnten alle bisherigen Sozialleistungen wegfallen. Die rechtsliberale Regierung will zwei Ziele erreichen: Erstens soll der Anreiz steigen, gerade schlecht bezahlte Jobs anzunehmen - also der Niedriglohnsektor ausgebaut werden. Zweitens soll die staatliche Sozialverwaltung radikal verschlankt werden. Das macht das finnische zu einem neoliberalen Modell.
Modellrechnung für Deutschland
Wie unterschiedlich Geld in diesen beiden Modellen verteilt würde, wird klar, wenn man sie in deutsche Verhältnisse übersetzt: Was wäre, wenn in Deutschland ein Grundeinkommen nach dem Schweizer Modell eingeführt würde - und was bei der Einführung des finnischen Modells?
In der Modellrechnung entsprechen die 2500 Schweizer Franken vereinfacht 1500 Euro. Weiter wird angenommen, dass alle im Alter von 16 bis 65 Jahren die volle Summe erhalten; Kinder und Rentner erhalten jeweils die Hälfte - im Schweizer Modell also 750 Euro, im finnischen Modell 332 Euro.
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Auf der anderen Seite erscheint selbst die Finanzierung des Schweizer Modells nicht mehr utopisch, wenn man die dafür nötige Summe mit den derzeitigen Sozialausgaben vergleicht - obwohl die Sozialhilfe für jene, die über das Grundeinkommen hinaus bedürftig sind, bei diesem Modell ausdrücklich nicht abgeschafft werden soll.
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Führte Deutschland also ein Grundeinkommen nach dem "Schweizer Modell" ein, würden fast zwei Drittel aller privaten Einkommen umgewälzt. Der Zwang, darüber hinaus Geld verdienen zu müssen, fiele weg - das ist ja auch das Anliegen der Initiative. Im "Modell Finnland" würden hingegen nur knapp 30 Prozent umgewälzt - die restlichen 70 Prozent müssten die Bürger weiterhin anderweitig erwirtschaften, vor allem durch Erwerbsarbeit.
Das macht deutlich: Hinter den Grundeinkommens-Modellen, die derzeit in Europa kursieren, stehen vollkommen unterschiedliche Menschenbilder: auf der einen Seite das des von Grund auf egoistischen Faulen, der zur Arbeit gezwungen werden muss - auf der anderen Seite das des Mitbürgers, der im Normalfall gern arbeitet und darin Sinn und Struktur findet. Und dem, wenn er es doch nicht tut, dennoch nicht die Existenzgrundlage entzogen werden kann.
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Erst im Jahr 2017 soll ein Experiment starten, wie der Forschungsleiter der finnischen Sozialversicherung (Kela), Olli Kangas, SPIEGEL ONLINE sagte. Bis ins kommende Jahr würden er und seine Mitarbeiter an vier verschiedenen Konzepten arbeiten. Die Regierung werde dann entscheiden, welches von diesen in einem Versuch getestet wird. So lange ist zum Beispiel auch nicht klar, ob das Grundeinkommen an alle Bürger ausgezahlt wird oder nur an Bedürftige.
Dass ausgerechnet eine Mitte-rechts-Regierung sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, überrascht nicht. Für sie dient ein Grundeinkommen schlicht dazu, die Sozialversicherungen finanziell zu entlasten und die Arbeitslosigkeit zu senken. Das sind im Kern neoliberale Anliegen - auch jenes, die Freiheit der Bürger nicht mehr durch eine streng-fürsorgliche Bürokratie zu beschneiden und sie zudem aus der Rolle des bedürftigen Bittstellers zu befreien.
Auf einen Lebensstandard, wie ihn Schweizer nach der Vorstellung der dortigen Initiative genießen würden, können Finnen ohne zusätzliche Einkommen jedoch nicht hoffen. Zwar ist noch unklar, wie hoch das Grundeinkommen sein wird, die Größenordnung von 800 Euro scheint aber nicht aus der Luft gegriffen.
In Deutschland entspricht das einer Kaufkraft von 664 Euro. Berechnet man Kinder und Rentner mit jeweils einem halben Grundeinkommen mit ein, entfielen auf jeden Bürger im Schnitt 551 Euro. Zum Vergleich: Ein Hartz-IV-Empfänger in Deutschland erhält durchschnittlich inklusive Wohnkosten rund 470 Euro im Monat. Wer ausschließlich von einem solchen Grundeinkommen lebt, hat also einen Lebensstandard etwa auf Hartz-IV-Niveau.