Nikomachische Ethik (alle)

Felix, Samstag, 19. Dezember 2015, 23:10 (vor 3309 Tagen) @ Felix

Buch II, 2 - Teil 2

http://archiv.melchizedek-forum.de/showentry.php?sNo=7538

Indes, auch wenn die gegenwärtige Untersuchung
Schwierigkeiten dieser Art bietet, so muss man doch versuchen,
(ihr) Hilfe zu leisten.

Als erste Erkenntnis ist nun festzuhalten die,
dass alles was irgendwie einen Wert darstellt,
seiner Natur nach durch ein Zuviel oder ein Zuwenig
zerstört werden kann.

Wir sehen es - um weniger Augenfälliges
durch greifbare Tatsachen zu klären -
an der Kraft und der Gesundheit:
die Körperstärke wird durch ein Zuviel an Sport
genauso geschädigt wir durch ein Zuwenig.

Übermass in Speise und Trank richtet die Gesundheit
ebenso zugrunde wie Unterernährung,
während ein richtiges Mass sie erzeugt, steigert und erhält.

Dasselbe ist nun der Fall bei der Besonnenheit,
der Tapferkeit und den übrigen Wesensvorzügen.
Wer vor allem davonläuft und sich fürchtet
und nirgends ausharrt, wird ein Feigling.
Wer überhaupt vor nichts Angst hat und auf alles losgeht,
der wird ein sinnloser Draufgänger.
Wer sich in jeden Genuss stürzt und sich nichts versagt, wird haltlos,
wer jeden meidet wie die Spiesser, wird stumpfsinnig.

So wird denn besonnenes und mannhaftes Wesen
durch das Zuviel und das Zuwenig zerstört,
dagegen bewahrt, wenn man der rechten Mitte folgt.

Es kommt aber nicht nur ihr Entstehen und ihr Wachsen
sowie andererseits ihr Vergehen
aus denselben Ursachen und von denselben Wirkungen,
sondern es wird sich auch ihre Verwirklichung
im Einzelfall im selben Umkreis bewegen,
denn so ist es auch bei den mehr sinnenfälligen Dingen,
zB bei der körperlichen Kraft.

Sie entsteht, indem man reichlich Nahrung aufnimmt
und ein hartes Training durchhält -
und es ist dann gerade der gestählte Sportsmann,
der so etwas am besten bewältigt.

So ist es nun auch bei den sittlichen Werten:
indem wir uns sinnliche Genüsse versagen,
werden wir beherrscht,
und sind wir's einmal geworden,
so haben wir am ehesten die Kraft
uns ihrer zu enthalten.

Bei der Tapferkeit ist es nicht anders:
indem wir uns daran gewöhnen,
Gefahren zu verachten und sie zu meistern,
werden wir tapfer,
und sobald wir es sind,
können wir ihrer am sichersten Herr werden.

[image]


gesamter Thread:

 

powered by my little forum