Eine Abhandlung über Wahrheit (alle)

Atanas, Donnerstag, 27. Juni 2013, 14:37 (vor 4211 Tagen) @ Devino M.

„Pilatus fragte Christus: „Was ist Wahrheit?“ Da haben wir eine tiefe philosophische Frage – es ist leicht, sie zu stellen, aber schwierig, sie zu beantworten. Die Wahrheit in sich ist etwas Konkretes, Reales, Unveränderliches – ewiges Licht, ewige Weisheit, ewige Liebe, ewige Gerechtigkeit, ewiges Leben. Aber diese Bestimmung selbst fordert, dass wir konkreter festlegen, was die Wahrheit ist. Ich werde vor dem Gedanken halt machen: die Wahrheit ist es, die Freiheit gibt. Die Freiheit ist Streben des menschlichen Verstandes, Herzens, Seele, Geist; die Freiheit – das ist das Leben, und das Leben ist dazu bestimmt, die Wahrheit zu suchen.“ (Beinsa Duno)

Die Schwierigkeit des Problems der Frage nach der Wahrheit liegt darin begründet, dass sie an einem Ort gestellt wird, an dem sie nicht beantwortet werden kann – in einer Welt ständiger Veränderungen, in der alle Dinge kommen und vergehen. Um sie zu finden, muss sich der Mensch an einem vollkommen anderen Ort begeben – er muss den Weg in einer anderen Welt finden, in der Welt der ewigen Wahrheit, wo die Heimat seiner Seele ist. Es liegt in der Natur des menschlichen Verstandes nach dem Wesen der Dinge zu fragen und es begreifen zu wollen. Er fühlt sich nur dann frei, wenn er das, was er begreifen will, auch begreifen kann. Kann er es nicht begreifen, empfindet er das als eine tiefe Unfreiheit, eine schmerzhafte Einschränkung in seiner Tätigkeit, als wäre er gefangen in einem Gefängnis. Und er sucht die Wahrheit, weil er intuitiv fühlt, dass nur sie ihn aus seinem Gefängnis befreien kann. Allein er muss lernen, wie er suchen muss.

Die absolute Wahrheit ist eine Qualität der Realität und nicht der menschlichen Sprache. Erst wenn die Realität selbst zum Ausdruck kommt, sprechen wir von Wahrheit in vollkommener Form oder von „Ausdruck der Wahrheit in menschlicher Sprache“. Die Realität ist in sich ewig, beständig und unveränderlich, folglich kann nur das Wahrheit sein, was immer, überall und unter allen Bedingungen wahr ist, dessen Sinn sich nicht verändert. Unter „Wahrheit“ im absoluten Sinn des Wortes verstehe ich die ewigen Formen der göttlichen Liebe, durch die sie sich manifestiert. Alle Veränderungen im Verständnis des Menschen rühren von der Tatsache her, dass sich sowohl der menschliche Verstand als auch die Welt, in der er sich zu orientieren versucht und die er begreifen will, in ständiger Weiterentwicklung und Vervollkommnung befinden. Das Wesen der Dinge wird ihm solange verborgen bleiben, bis er seine Vollkommenheit erreicht hat, d.h. bis er jenes Stadium erreicht hat, in dem er die Wahrheit selbst schauen kann. Wenn der Mensch nur auf die äußere Erscheinung der Dinge blickt und diese für die Wahrheit hält, fällt er dem Irrtum zum Opfer, leblose Fakten mit der lebendigen Wahrheit hinter den Fakten zu verwechseln. Gerade diese aber erfüllt die Dinge mit Sinn. Die Wahrheit ist nicht ein Produkt des menschlichen Verstandes, sie ist eine Welt jenseits seines Fassungsvermögens. Das, was die Menschen gewöhnlich als Wahrheit bezeichnen, ist ihr subjektives Verständnis, ihre subjektive Wahrnehmung der äußeren Erscheinungsformen dieser Wahrheit. Kann das wahr sein, was heute wahr ist und morgen nicht mehr?


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