Liebende Güte

Sladdi, Dienstag, 07. August 2012, 17:09 (vor 4713 Tagen) @ Sladdi

Gemeinschaft

Wir sind fünf Freunde, wir sind einmal hintereinander aus einem Haus gekommen,
zuerst kam der eine und stellte sich neben das Tor, dann kam oder vielmehr glitt
so leicht, wie ein Quecksilberkügelchen gleitet, der zweite aus dem Tor und stellte
sich unweit vom ersten auf, dann der dritte, dann der vierte, dann der fünfte.
Schließlich standen wir alle in einer Reihe. Die Leute wurden auf uns aufmerksam,
zeigten auf uns und sagten: Die fünf sind jetzt aus diesem Haus gekommen. Seitdem
leben wir zusammen, es wäre ein friedliches Leben, wenn sich nicht immerfort ein
sechster einmischen würde. Er tut uns nichts, aber er ist uns lästig, das ist genug
getan; warum drängt er sich ein, wo man ihn nicht haben will. Wir kennen ihn nicht
und wollen ihn nicht bei uns aufnehmen. Wir fünf haben zwar früher einander auch
nicht gekannt, und wenn man will, kennen wir einander auch jetzt nicht, aber was bei
uns fünf möglich ist und geduldet wird, ist bei jenem sechsten nicht möglich und
wird nicht geduldet. Außerdem sind wir fünf und wir wollen nicht sechs sein. Und was
soll überhaupt dieses fortwährende Beisammensein für einen Sinn haben, auch bei uns
fünf hat es keinen Sinn, aber nun sind wir schon beisammen und bleiben es, aber eine
neue Vereinigung wollen wir nicht, eben auf Grund unserer Erfahrungen. Wie soll man
aber das alles dem sechsten beibringen, lange Erklärungen würden schon fast eine
Aufnahme in unsern Kreis bedeuten, wir erklären lieber nichts und nehmen ihn nicht
auf. Mag er noch so sehr die Lippen aufwerfen, wir stoßen ihn mit dem Ellbogen weg,
aber mögen wir ihn noch so sehr wegstoßen, er kommt wieder.

Franz Kafka


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