"Schon als kleiner Junge hatte ich meine Eltern verloren
und kam mit neun Jahren in ein Waisenhaus. Wir mußten
jeden Tag vierzehn Stunden arbeiten. Es gab im Jahr nur
einen einzigen Ruhetag: Das war der Weihnachtstag.
Dann bekam jeder Junge eine Apfelsine zum Christfest.
Aber diese Apfelsine bekam nur derjenige, der sich im
Laufe des Jahres nichts hatte zuschulden kommen
lassen. Diese Apfelsine zu Weihnachten verkörperte
die Sehnsucht eines ganzen Jahres.
Während die anderen Jungen am Waisenhausvater
vorbei schritten und jeder seine Apfelsine in Empfang
nahm, mußte ich in einer Zimmerecke stehen und
zusehen. Das war meine Strafe dafür, daß ich aus
dem Waisenhaus hatte weglaufen wollen.
Als die Geschenkverteilung vorüber war, durften die
anderen im Hof spielen. Ich aber mußte in den Schlafraum
gehen und dort den ganzen Tag im Bett bleiben. Ich war
traurig und beschämt, weinte und wollte nicht länger leben.
Nach einer Weile hörte ich Schritte im Zimmer. Eine Hand
zog die Bettdecke weg, unter der ich mich verkrochen hatte.
Ein kleiner Junge namens William stand vor meinem Bett,
hatte eine Apfelsine in der rechten Hand und hielt sie mir
entgegen. Ich wußte nicht, wie mir geschah, Wo sollte eine
überzählige Apfelsine hergekommen sein ?
Ich fühlte dumpf in mir, daß es mit dieser Apfelsine eine
besondere Bewandtnis haben müsse, denn sie war bereits
geschält. Als ich näher hinblickte, wurde mir alles klar,
und Tränen kamen in meine Augen. Und als ich die Hand
ausstreckte, um die Frucht entgegenzunehmen, mußte ich
fest zupacken, damit sie nicht auseinander fiel.
Was war geschehen ? Zehn Knaben hatten sich zusammen
getan und beschlossen, daß ich zu Weihnachten meine
Apfelsine haben müsse. So hatte jeder seine geschält, eine
Scheibe abgetrennt und die zehn Scheiben sorgfältig zu einer
neuen, schönen und runden Apfelsine zusammengesetzt.
Diese Apfelsine war das schönste Weihnachtsgeschenk in
meinem Leben. Sie lehrte mich, wie trostvoll echte
Kameradschaft sein kann." (unbekannter Verfasser)